Warum die Schwiegermutter kein neues Handy will

„Eins, zwei, drei im Sauseschritt, läuft die Zeit, wir laufen mit,“ stellte Wilhelm Busch schon vor mehr als einhundert Jahren fest. Am deutlichsten zeigt sich dieser Wandel bei Veränderungen in Technik und Persönlichkeit.

Mit Beginn des Ruhestands steigert sich das Tempo dann allmählich auf gefühlte Lichtgeschwindigkeit. Nikoläuse und Weihnachtsmänner haben den neuen Trend zuerst erkannt und warten bereits pünktlich, kurz vor Herbstbeginn in den Regalen auf Käufer.

Der Blick in den Spiegel zeigt letzte persönliche Veränderungen. Zum Beispiel habe ich jetzt deutlich sichtbar Haare gelassen und war früher auch wesentlich flotter unterwegs. Meine Frau hat …. na ja – das gehört jetzt wirklich nicht hierher.

Auch langjährige Freunde sind in Windeseile etwas rundlicher geworden. Das hängt aber irgendwie mit dem Klimawandel zusammen; denn in warmen Sommernächten steigt automatisch auch die Zahl der Grill- und Gartenpartys. Trotzdem fühlen wir uns immer noch topfit und längst noch nicht zum alten Eisen gehörend.

Blitzartig erfolgt die Weiterentwicklung in der modernen Telekommunikation. Vor 25 Jahren gab es gerade mal die ersten Handys. Damit konnte man einfach mobil telefonieren. Bessere Geräte enthielten schon eine Kamera. Damit war man anfangs mehr als zufrieden. Später wurden die Intervalle bis zum Erscheinen der nachfolgenden Spitzenmodelle allerdings laufend verkürzt.

Endgültige Gewissheit, dass die Zeit jetzt wirklich mit Riesenschritten läuft, stellt sich aber spätestens dann ein, sobald man ein neues, topaktuelles Smartphone gekauft hat. Im Laden hat einen der Verkäufer noch gelobt: „Gute Wahl, ein super Gerät, das neueste Modell auf dem Markt. Oberklasse – es gibt nichts Besseres.“

Und was sagen die Kids 10 Monate später zu dieser tollen Investition in die Zukunft? „Wer hat euch denn diese uralte, lahme Möhre angedreht? Da laufen ja längst nicht mehr die neuen Apps drauf.“

Letztendlich bleibt einem nichts anderes übrig, als im Telefonladen seines Vertrauens umgehend ein wirklich topaktuelles neues Smartphone zu erwerben. Ein Super-Gerät, Oberklasse. Es gibt fast nichts, was das neue Spielzeug nicht schon könnte. Das neueste Modell und zugleich der Beginn einer unendlichen Geschichte in Dauerschleife.

Meine Frau findet den smarten Verkäufer diesmal übrigens noch charmanter als im Jahr zuvor. „War doch nett, dass er uns gleich den neuen Vertrag mit Flatrate für alles empfohlen hat. Ist ja kaum teurer und jetzt sind wir wirklich überall und jederzeit erreichbar.“ Im Umgang mit neuen Medien sind wir eben gerne aktuell dabei. Danke und Tschüss bis zum nächsten Jahr.

Klar, dass in den nächsten Wochen alle Technikfreaks im Bekanntenkreis das neue Spielzeug bewundern.

Die Geschichte hat allerdings einen klitzekleinen Haken: Schwiegermutter mit Uralt-Handy, völlig ahnungslos in der schönen, neuen Online-Welt unterwegs, kündigt ihren Besuch an. Immer wenn wir gemeinsam etwas unternehmen, muss ich unbedingt rechtzeitig Sorge tragen, das neue Hightech-Spielzeug voll aufgeladen mitzunehmen. Es ist jedenfalls sehr unangenehm sie unterwegs mit leeren Akku um Benutzung ihres Steinzeit-Handys zu bitten.

Sie behauptet dann immer felsenfest, ihr altes Telefon wäre auch ohne nachzuladen noch mindestens eine Woche funktionsfähig. „Ich will doch nur telefonieren – das reicht mir.“ Und WhatsDepp (das sagt sie wirklich) brauche sie einfach nicht.

Da muss ich immer erst mühsam erklären, dass moderne Smartphones die allerneuesten Prozessoren eingebaut haben und echte Computer sind, die praktisch alles können. Das neue Wunderwerk benötigt eben auch wesentlich mehr Energie als ihr Handy von vorgestern.

Jetzt muss ich aufpassen, dass die Angelegenheit nicht eskaliert. Vorsorglich weise ich schon mal darauf hin, dass Medienkompetenz ja auch ein Stück Altersvorsorge ist.

Worauf sie immer entgegnet: „Du selbst hast jetzt die Wahl! Entweder funktionierende, alte Klappertechnik oder dauernd Akku leer.“